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Der Krimi hinter dem Krimi

Die historischen Ereignisse, vor deren Hintergrund „Totenvogelsang“ spielt, sind immer noch nicht vollständig geklärt und Grundlage für Spekulationen. Im Buch sind diese nur angerissen, denn die Ereignisse sind hochkomplex und führen tief in die Mechanismen der nationalsozialistischen Diktatur. Doch einige Einzelheiten sollen Ihnen, ohne zu sehr in die Details zu gehen, verdeutlichen, wo die Realität endet und die Fiktion beginnt. Aber selbst für mich als Autor sind die Grenzen nicht deutlich auszumachen, wie ich letzte Woche wieder feststellte, als in Berlin eine Ausstellung von Skulpturen eröffnet wurde, die man im Frühjahr bei U-Bahnarbeiten entdeckte hatte

1937 wurde die Aktion „Entartete Kunst“ in Deutschland durchgeführt. Alfred Rosenberg, einer der maßgeblichen Ideologen im Dritten Reich, hatte darauf gedrängt, auch in der Bildenden Kunst genau wie in der Literatur die Maßstäbe der Nationalsozialisten anzuwenden und „entartete“ Kunst aus den Museen zu entfernen. Der eigentlich zuständige Reichsminister für Propaganda Goebbels war zu dieser Zeit wegen seiner außerehelichen Eskapaden zum Beispiel mit der tschechischen Schauspielerin Lida Baarova nicht gut gelitten, und ihm, der eigentlich der modernen Kunst eher zugetan war, gelang es nun nicht mehr, diese zu schützen, wie er es bis zu diesem Zeitpunkt getan hatte.

Im Zuge dieser Säuberung wurden um die 20 000 Kunstwerke aus deutschen Museen entfernt, oft auch welche, die überhaupt nicht im Besitz der Museen waren. Ein Teil davon wurde ausgewählt und in der berühmten Ausstellung „Entartete Kunst“ in München und anderen Städten gezeigt.

Was aber geschah danach mit den beschlagnahmten Bildern, Skulpturen, Zeichungen und Graphiken? Ein Teil wurde als nicht verwertbar angesehen und in einem Lagerhaus in Berlin aufbewahrt. Der weitaus größere Teil aber wurde über den Evangelischen Kunstdienst ins Ausland verkauft, einer kirchlichen Einrichtung, die schon früher Goebbels treu zu Diensten gewesen war. Auch bedienten sich Nazi-Größen aus diesem Fundus, belegt ist zum Beispiel der Besuch des Leibarztes von Hitler. Die Reste dieser Sammlung wurden bei Kriegsende im Atelier von Barlach entdeckt und nach und nach wieder in den Handel gebracht. Hier werden auch immer noch Wiederentdeckungen gemacht.

Die aussortierten Werke waren zur Vernichtung vorgesehen. Rosenberg drängte immer weiter darauf, der Absicht auch Taten folgen zu lassen, das Lagerhaus werde dringend gebraucht, während Goebbels stets neue Ausflüchte fand, um diesen Akt zu verhindern. 1939 musste er sich dem Druck beugen; allerdings wurden die Werke nicht öffentlich verbrannt wie bei der Bücherverbrennung, sondern in einer geheimen Aktion auf dem Hof der Feuerwache Köpenick. Hier setzt „Totenvogelsang“ an, denn der Umstand, dass keine Augenzeugen bekannt sind, die die Bilder tatsächlich haben brennen sehen, brachte einige Historiker zu der These, tatsächlich hätten Rahmen und Verpackungsmaterial gebrannt, die Kunstwerke aber seien von Goebbels im Keller seines Ministeriums versteckt worden, um den Grundstock für ein Museum für Zeitgeschichte zu bilden.

Dieses sind die historischen Ereignisse, welche die Inspiration für meinen Eifelkrimi bilden. Wie gering die Wahrscheinlichkeit ist, dass die Bilder jemals in Vogelsang gewesen sind, legt F-A Heinen in seinem wunderbaren Nachwort dar. Doch, wie das so ist, gibt es zur Zeit auch keinen Beweis dafür, dass es nicht so gewesen ist. Die Bilder sind und bleiben verschwunden, es gibt keinerlei Hinweis auf ihren Verbleib – bis auf die in den 90-er Jahren aufgetauchte sogenannte „Fischer-Liste“, in der diese Werke als zerstört aufgelistet sind. Inwieweit dies allerdings so stattgefunden hat oder eine reine Absichtserklärung war, kann zum heutigen Datum nicht gesagt werden. Aber der Fund in Berlin gibt neuen Stoff für Spekulationen. Das letzte Wort über die Entartete Kunst ist noch lange nicht gesprochen.